Unpassende Gedanken                                                                                   Film-Kolumne von Felix Aeppli

 

Panasonic olé!

 

Die Re-Edition von Chaplins Langspielfilmen in den späten 60er und frühen 70er Jahren war sorgfältig geplant. 1968 kam „Limelight“ heraus; im Jahr danach folgten „The Gold Rush“ und „The Circus“. Die Titel, die alle während mehr als eines Jahrzehnts nicht mehr in den Kinos zu sehen gewesen waren, lösten anlässlich der Wiederaufführung europaweit wahre Begeis­terungsstürme aus. Auch die Kritik im Zürcher „Tages-Anzeiger“ war enthusiastisch. Martin Schaub schrieb, „The Circus“ sei ein Kunstwerk, welches man eigentlich wie die Beatles LP „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“ jederzeit abspielbereit zu Hause haben müsste. Das war zu jenem Zeitpunkt eher Wunschdenken als Zukunftsmusik. Doch knapp zehn Jahre später tauchten die ersten bespielten Videokassetten auf, vorerst zwar sündhaft teuer, sowohl was die Bänder als auch was die Abspielgeräte anbelangte, aber immerhin als Morgenröte für Cineasten und Filmsammler.

 

Zwei, drei Jahre danach setzte sich VHS gegenüber dem Beta-Format als Standard für private Videoaufzeich­nungen durch, und alsbald begannen die Preise bei den Recordern und bei den Kassetten zu purzeln. Das aufkommende Kabel-TV mit seinem erweiterten Angebot und dem störungsfreien Bild tat ein Übriges: Systematisch durchkämmte ich fortan die TV-Pro­gramm-Zeitschriften auf der Suche nach meinen Wunschfilmen, stets denselben cineastischen Wegmarken des Wochenablaufs folgend: „ZDF-Matinee“ am Sonntagvormittag, „Das kleine Fern­sehspiel“ auf demselben Kanal am Dienstagabend, „Filmszene Schweiz“ auf TV DRS am vorgerückten Mittwoch, „Kunst-Stücke“ auf ORF 2 beziehungsweise „Ciné Club“ auf Antenne 2 am Freitagabend und „Cinéma de minuit“ auf France 3 am späten Sonntag. Regelmässig wurde auch eine Berliner Bekanntschaft angegangen, um beispielsweise auf dem dritten Programm SFB eine untertitelte Version von „Masculin - féminin“ oder auf DDR2 „Die Dame mit dem Hündchen“ aufzuzeichnen.

 

Schon bald einmal nahm sich die private Videothek recht schmuck und umfangreich aus: Antonioni und Bresson waren darin vertreten, ebenso Ingmar Bergman, Carlos Saura, Erich von Stroheim, Woody Allen, Angelopoulos, Satyajit Ray, Murnau und Fassbinder sowie die Marksteine des alten Schweizer Films, über den ich am Vorabend des Video­zeitalters einen Materialienband publizierte hatte, zu dem mir nun im nachhinein jederzeit verfügbare  Primärquellen zugänglich gemacht wurden. Bei den Aufzeichnungen achtete ich nach Möglichkeit darauf, Originalversionen zu bekommen, und besonders freute es mich, wenn meine eigenen Aufnahmen technisch besser waren als diejenigen auf den langsam aufkommenden Kaufkassetten von Studiofilmen. Dennoch erlahmte im Laufe der Jahre meine Aufzeichnungstätigkeit. Die Kassetten - mittlerweile mit einem Computerpro­gramm verwaltet - stapelten sich, und der Filmschatz dümpelte in Büchergestellen, im Abstellraum und auf dem Estrich vor sich hin. Und ein mulmiges Gefühl liess sich immer schlechter verdrängen: Wie würden die VHS-Bänder die Zeit überleben? Die Aufnahmen, die ich ab und zu konsultierte, stimmten wenig optimistisch: Häufig waren die Bilder verwaschen, mit wenig Kontrast und mit ausgefransten Rändern.

 

Eine Rettungsaktion der Sammlung durch Überspielen auf neue Kassetten verbot sich angesichts des dadurch zu erwartenden Qualitätsverlustes. Schliesslich kamen vor rund zwei Jahren Geräte auf den Markt, die den Transfer von der analogen Bandaufzeichnung zum digitalen DVD-Format ohne Qualitätseinbusse schaffen (und daneben auch TV-Sendungen digital aufzeichnen können). Meine eigenes Gerät, ein Panasonic Recorder vom Typ DMR-E75V, ist zwar nicht gerade „One Touch“, wie es der Prospekt verheisst, aber mit einem guten Dutzend Handgriffen lassen sich die kostbaren VHS-Bänder auf die glänzenden Silberlinge übertragen und sogar mit einem kleinen Menu versehen. Die Sache ist zwar zeitraubend, aber lohnend, weil man beim Überspielen auf längst vergessene Aufnahmen stösst. Sie entfachen nicht selten die „alte“ Begeisterung neu, so etwa in meinem Fall Jonas Mekas’ Kommentar zu „Reminiscences of a Journey to Lithuania“, das Mimenspiel Marcello Mastroiannis in „Melissókomos [Der Bienenzüchter]“ oder die Überblendungen in der Schlussszene von „Die letzte Chance“. In manchen Fällen gelang es mir auch, die Qualität der Aufzeichnung zu verbes­sern durch einen Rückgriff auf Originalbänder, von denen mir befreundete Sammler vor Jahren eine VHS-Kopie gezogen hatten. So scheint der Traum jedes Archivars - qualitativ besseres Material auf weniger Raum - vorübergehend verwirklicht. Doch so ganz traue ich der Sache nicht: Zum einen fehlt jeglicher Anhalts­punkt über die Haltbarkeit von selbstgebrannten DVD-Scheiben. Zum andern liegen sich in der Branche mit High Definition und Blue Ray einmal mehr zwei Aufzeichnungsverfahren im Streit um den künftigen Standard in den Haaren. Für alle Fälle sind meine transferierten, sperrigen VHS-Kassetten vorläufig an einem sicheren Ort ausser Hauses zwischengelagert…

 

 

 

Quelle                                                                                        

Filmbulletin, 8/06, S. 52

 

Journalistische Arbeiten von Felix Aeppli                         

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